Dr.
Alexander Bissels und Dr. Jonas Singraven
Arbeitnehmerüberlassung
im Konzern – Von Hannover auf dem Weg nach Erfurt und Luxemburg
(und wieder zurück)?!
Das
Konzernprivileg gem. § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG wird in der Praxis
für den flexiblen Personaleinsatz zwischen gem. § 18 AktG
verbundenen Unternehmen genutzt. Arbeitnehmer können im Rahmen
einer Arbeitnehmerüberlassung eingesetzt werden – und zwar ohne
dass die engen regulatorischen Vorgaben das AÜG beachtet werden
müssen, u.a. die Notwendigkeit einer Erlaubnis nach § 1 AÜG,
die Beachtung des Gleichstellungsgrundsatzes gem. § 8 AÜG oder
der Überlassungshöchstdauer nach § 1 Abs. 1b AÜG. Allerdings
ist die Europarechtskonformität von § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG, die
in der Literatur teilweise in Abrede gestellt wird (vgl. nur:
Hamann, ZESAR 2012, 109; a.A. Henssler/Grau/Sittard/ Pant, § 3
Rn. 62 f. m.w.N.), von der Rechtsprechung bislang nicht geklärt
(vgl. Thür. LAG, Urt. v. 12.04.2016 – 1 Sa 284/15;
ausdrücklich offenlassend: BAG, Urt. v. 20.01.2015 – 9 AZR
735/13; LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 11.02.2016 – 3 TaBV
2/14).
In
der jüngeren Vergangenheit hat sich das LAG Niedersachsen
vertiefend mit dem Konzernprivileg in entscheidungserheblicher Art
und Weise befassen müssen und die Anwendbarkeit von § 1 Abs. 3
Nr. 2 AÜG bejaht (Urt. v. 09.11.2023 – 5 Sa 178/23;
Parallelenscheidung mit dem Az. 5 Sa 180/23).
I.
Zusammenfassung der Entscheidung
Der
Kläger war von 2018 bis 2020 als Sitzefertiger bei der S
beschäftigt. Während seiner Tätigkeit war er in dem Werk der
Beklagten, einem mit S konzernverbundenen Unternehmen, eingesetzt.
Dort war der S ein Bereich zugeordnet, in dem S deren
unternehmerische Tätigkeit ausübte.
Die
Parteien streiten darüber, ob der Einsatz im Rahmen eines echten
Werk- bzw. Dienstvertrages erfolgte oder ob – wie der Kläger
meint – aufgrund einer verdeckten Arbeitnehmerüberlassung (u.a.
wegen der Durchmischung und der fehlende Abtrennbarkeit der
verschiedenen Arbeitsaufgaben und einer Weisungsgebundenheit) ein
Arbeitsverhältnis zur Beklagten fingiert worden ist, dessen
Feststellung dieser nun klageweise begehrt.
Das
ArbG Hannover wies die Klage ab. Die hiergegen vom Kläger
gerichtete Berufung blieb vor dem LAG Niedersachsen ohne Erfolg.
Die Beklagte könne sich zumindest auf das Konzernprivileg gem. §
1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG berufen, so dass die Schutzvorschriften des
AÜG keine Anwendung fänden. Ein Arbeitsverhältnis sei nach §§
10 Abs. 1 i.V.m. 9 Abs. 1 Ziff. 1a AÜG nicht begründet worden.
In diesem Zusammenhang komme es auf die Problematik der
Eingliederung bzw. Weisungsgebundenheit des Klägers gegenüber
Arbeitnehmer der Beklagten nicht an.
Die
Voraussetzungen des Konzernprivilegs seien gegeben. Die Beklagte
und die S seien konzernverbunden; der Kläger sei von der S nicht
zum Zwecke der Überlassung eingestellt und beschäftigt worden.
§ 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG sei anzuwenden.
Dabei
könne ausdrücklich auf sich beruhen, ob das Konzernprivileg
europarechtswidrig sei. Die Zeitarbeitsrichtlinie 2008/104/EG
finde keine unmittelbare Anwendung. § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG sei vom
Wortlaut und Sinn und Zweck, den der (...)
|